Campbell, Paul-Henri: Nach den Narkosen (kartoniertes Buch)

Gedichte
ISBN/EAN: 9783884235560
Sprache: Deutsch
Umfang: 96 S.
Einband: kartoniertes Buch
Erschienen am 13.03.2017
€ 18,80
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • gewidmet. Der Mensch, der heute mit einer chronischen körperlichen Anfechtung zu ringen hat, ist ein permanenter oder zumindest periodischer Gast der Klinik. Er verbindet sich mit Maschinen, die sein irritiertes inneres Regen messen, verbindet sich mit geregelten Abläufen ärztlicher Behandlung, und ist deren Herausforderung. Schreibend sich darin zu behaupten, gegen die Frist des instabilen Seins, ist ein Aufruhr von nackter Diesseitigkeit. Der Defekt und die Apparate und Verfahren seiner Beschwichtigung werden Teil der Selbstverständigung. Sie zu beschreiben, zu benennen, ihrem Rumoren einen Vers abzugewinnen, ist das Bemühen, mit dem eigenen Ausdruck im Leben zu sein. Am Puls der Zeit statt am Piepen der Herzrhythmuskontrolle – beide Takte sind im Gedicht verstrickt, um die Narkose zu verlassen. Neben den Gedicht-Zyklen »nach den narkosen«, »plasma« und »medtronic KAPPA KSR 901«, die sich dem klinischen Dasein widmen, enthält der Band außerdem den Zyklus »gärten ohne menschen«, der durch die Institution der Grünanlage wandelt, diesem bürokratischen Reflex auf halbe Sehnsüchte nach Natur. Den Zyklus »martin heidegger schaltet das radio ein« treibt die Frage um nach der prometheischen Scham, ihrem Fehlen, in der Verwicklung von Technik und Philosophie. »digitales dharma, diptychen« versammelt Gedicht-Spaltungen zum Thema Sichtbarkeit und Unverfügbarkeit im Netz.

  • Kurztext
    • Aus dem Nachwort Seit der letzten Operation am Herzen in Heidelberg im Januar 2015 besuchen mich unzählige solcherart Erinnerungen. Es begann als ich aus der Narkose aufwachte. Mein Vater stand am Bett und sprach auf Englisch zu mir. Ich konnte nicht antworten, weil ich noch einen Intubationsschlauch im Mund hatte. Die Stimme meines Vaters beruhigte mich und momentlang als die Schmerzen einsetzten im Brustbein, die Arme durch die Katheder und Infusionen kaum zu bewegen waren, wusste ich nicht, wo ich war. Es klingt vielleicht verrückt, aber momentlang war ich fast überzeugt davon, dass ich wieder in Boston war, dass es 1989 war, dass gleich die Krankenschwester Cheryl noch kommen würde und mir sagen, dass sie gleich einiges entfernen würde und es bald nicht mehr so wehtun würde. Ich wusste, dass 'remember me, sweetie, it's me Cheryl' gleich ganz vorsichtig diesen Schlauch entfernen würde. Dann höre ich andere Stimmen. Menschen, die auf Deutsch sprechen, jemand hebt mich leicht an. Niemand spricht mich direkt an. Flammen im ganzen Körper überall. Sehnsucht nach 'schweigsamen Umarmungen'. Hände berühren mich. Nicht nackte Hände. Ich fühle, wie sich der Schlauch in meinem Rachen bewegt. Es ist, als reibe er hölzern aus meinem Mund heraus, als risse jemand eine Pflanze mit langer Wurzel aus dem Erdboden. Ich übergebe mich. Der Satz: Die Schmerzen waren unglaublich. Ist ein leerer Satz angesichts der jeweils einmaligen Widerfahrnis des Schmerzes. Es ist eine Schändung, jedes Mal, Schändung ohne Urheber, gegen den man rebellieren könnte. Seitdem aber diese Erinnerungen. Kindheitserinnerungen. Fünfundzwanzig Jahre lang sind diese Begebenheit irgendwo weggesperrt in mir gewesen und plötzlich durch diese situative Identität des Schmerzes - oder wie sagt man sonst? - sind sie wieder da. Aber ich werde mit ihnen nicht fertig. Auch Monate nach der Operation nicht. Auch heute nicht. Sicher gibt es bei Louis-René des Forêts die Zeilen: 'Und in meinem leidenden Gedächtnis, das meine einzige Habe ist, / Such ich, wo das Kind, das ich war, seine Abdrücke hinterlassen hat.' Aber ich suche nicht. Das Kind sucht mich heim und erinnert mich daran, dass der Schmerz mein nächster Freund war, mein Kumpel, mein Schatten, immer. Nochmal: Ich suche nicht nach den Abdrücken des Kindes. Ich will seine Spur nicht verfolgen. Wohin würde es mich führen? Das Kind, das sind keine Abdrücke von Dingen, die sich einmal begeben hätten, sondern es sind Abdrücke von einer Erfahrung, die noch nicht vorübergegangen ist. Diese Kontinuität überhöht den Schmerz, verleiht ihm eine Macht, die er als punktuelle Erfahrung nicht hätte: Sie macht ihn übermächtig, omnipräsent, macht ihn heilig.

  • Autorenportrait
    • Paul-Henri Campbell wurde 1982 in Boston (USA) geboren und schreibt Lyrik sowie Prosa in englischer und deutscher Sprache. Studium der katholischen Theologie und der klassischen Philologie in Frankfurt am Main sowie an der National University of Ireland, Maynooth, derzeit Promotion. Campbell ist Übersetzer und Managing Editor der internationalen Ausgabe der Lyrikzeitschrift »DAS GEDICHT: DAS GEDICHT chapbook. German Poetry Now«. Er rezensiert regelmäßig für dasgedichtblog.de. Zuletzt von ihm erschienen: »Space Race« (lyrikedition München 2015) sowie »Am Ende der Zeilen. | At the End of Days. Gedichte:Poetry« (fhl Verlag Leipzig 2013). 2018 erhielt Campbell den renommierten Herman-Hesse-Förderpreis.

gewidmet. Der Mensch, der heute mit einer chronischen körperlichen Anfechtung zu ringen hat, ist ein permanenter oder zumindest periodischer Gast der Klinik. Er verbindet sich mit Maschinen, die sein irritiertes inneres Regen messen, verbindet sich mit geregelten Abläufen ärztlicher Behandlung, und ist deren Herausforderung. Schreibend sich darin zu behaupten, gegen die Frist des instabilen Seins, ist ein Aufruhr von nackter Diesseitigkeit. Der Defekt und die Apparate und Verfahren seiner Beschwichtigung werden Teil der Selbstverständigung. Sie zu beschreiben, zu benennen, ihrem Rumoren einen Vers abzugewinnen, ist das Bemühen, mit dem eigenen Ausdruck im Leben zu sein. Am Puls der Zeit statt am Piepen der Herzrhythmuskontrolle – beide Takte sind im Gedicht verstrickt, um die Narkose zu verlassen. Neben den Gedicht-Zyklen »nach den narkosen«, »plasma« und »medtronic KAPPA KSR 901«, die sich dem klinischen Dasein widmen, enthält der Band außerdem den Zyklus »gärten ohne menschen«, der durch die Institution der Grünanlage wandelt, diesem bürokratischen Reflex auf halbe Sehnsüchte nach Natur. Den Zyklus »martin heidegger schaltet das radio ein« treibt die Frage um nach der prometheischen Scham, ihrem Fehlen, in der Verwicklung von Technik und Philosophie. »digitales dharma, diptychen« versammelt Gedicht-Spaltungen zum Thema Sichtbarkeit und Unverfügbarkeit im Netz.

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